Alumni: Roger Willemsen

Wir erinnern an unseren ehemaligen Schüler Roger Willemsen.

Roger Willemsen war deutscher Publizist, Fernsehmoderator und Filmproduzent. Er zählte zu Deutschlands bekanntesten und beliebtesten Intellektuellen. Er wurde mit den Massenmedien Fernsehen und Feuilleton bekannt. Ein besonderes Interesse fanden seine Reisebücher und Gespräche mit Menschen. Nach seinem weitgehenden Rückzug vom Fernsehen wurden ab 2001 Lesereisen seine Leidenschaft, verbunden mit Studien zur Musik aus anderen Kulturen.

Foto von der Roger-Willemsen-Stiftung zur Verfügung gestellt

Roger Willemsen

* 15.08.1955 in Bonn † 07.02.2016 in Wentorf

Roger Willemsen verbrachte die ersten fünf Jahre seiner Kindheit zusammen mit seinem älteren Bruder Jan und der jüngeren Schwester Eva auf Schloss Alfter. Danach zog die Familie in ein eigenes Haus im Nachbarort Oedekoven um. Er besuchte seit 1965 das Helmholtz-Gymnasium in Bonn-Duisdorf, wo er 1976 nach 11jähriger Schulzeit sein Abitur ablegte. Nach dem Abitur im Jahr 1976 studierte er Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte in Bonn, Florenz, München und Wien und war Stipendiat des Evangelischen Studienwerks. Neben dem Studium arbeitete Willemsen von 1977 bis 1981 als Nachtwächter, Reiseleiter und Museumswärter. Anschließend erhielt er eine Anstellung als Assistent am Institut für Komparatistik der LMU München. 1984 wurde Willemsen mit einer Dissertation über die Literaturtheorie von Robert Musils Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ promoviert. Von 1984 bis 1986 war er als Übersetzer, Herausgeber und freier Autor tätig. 1988 ging er für drei Jahre nach London, um als Korrespondent für Zeitungen und Rundfunksender zu arbeiten.

Seine Fernsehkarriere begann Roger Willemsen 1991 beim Sender Premiere als Interviewer von 0137 und erarbeite sich in tausenden von Interviews schließlich neben den skurrilsten Gesprächspartnern auch solche mit Audrey Hepburn und Jassir Arafat. Für diese Sendereihe erhielt Willemsen den Adolf25 Grimme-Preis 1993 mit Gold. 1993 gründete er seine Fernseh-Produktionsfirma NoaNoa. Hier produzierte er Dokumentationen, Interviewreihen, Themenabende und Gala-Veranstaltungen. 1994 wechselte er zum ZDF. Dort moderierte er von Oktober 1994 bis Juni 1998 die 60-minütige Talkshow Willemsens Woche. Parallel arbeitete er auch als Germanist: Im Wintersemester 1995/1996 übernahm er eine Gastprofessur am Lehrstuhl für Literaturwissenschaften der Ruhr-Universität
Bochum.
1996 präsentierte Roger Willemsen im ZDF eine neunteilige Porträtreihe unter dem Titel Willemsens Zeitgenossen. Ab 1999 moderierte er zahlreiche Kulturveranstaltungen. Außerdem interviewte er für das ZDF-Format Willemsens Musikszene zahlreiche Musiker unterschiedlicher Genres. In der Sendereihe Gipfeltreffen inszenierte Willemsen filmische Doppelporträts prominenter Zeitgenossen, in der Nachtkultur mit Willemsen diskutierte er mit jeweils drei bis vier Gästen aktuelle Themen aus Kunst und Kultur.
Weiterhin führte Roger Willemsen auch Regie, erstmals beim Dokumentarfilm Non Stop – Eine Reise mit Michel Petrucciani (1996), der danach in 13 weiteren Ländern ausgestrahlt wurde.
Auf der EXPO 2000 präsentierte er eine zehnstündige Videoinstallation aus Gesprächen mit 55 Künstlern unter dem Titel Welcome Home – Künstler sehen Deutschland.
Nach rund zweijähriger Pause als Fernsehmoderator moderierte er von 2004 bis 2006 den Literaturclub des Schweizer Fernsehens, eine der ältesten Literatursendungen im deutschsprachigen Fernsehen. Im deutsch Fernsehen hatte er nur noch Gastauftritte.

Auch im Radio war Roger Willemsen aktiv. Seit 2004 arbeitete er regelmäßig als Moderator für das wöchentliche Literaturmagazin SpielArt auf WDR 5. Außerdem moderierte er einmal im Jahr die Silvester-Sendung auf WDR 5, zunächst zusammen mit Elke Heidenreich, dann mit Anke Engelke. Von 2011 bis 2013 moderierte Willemsen zudem für WDR 5 zusammen mit Martin Stankowski die „literarischen Sommernächte“ auf Burg Wilhelmstein bei Aachen. Erneut wandte er sich in dieser Zeit einer Lehrtätigkeit zu: Ab 2010 wirkte er als Honorarprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin. Bei NDR Kultur rief er 2011 die wöchentliche Reihe Roger Willemsen legt auf – Klassik trifft Jazz ins Leben. Eine weitere musikalische Sendereihe in Zusammenarbeit mit Anke Engelke unter dem Titel Engelke & Willemsen legen auf startete am 20. Oktober 2012 in Hannover.

Immer wieder trat Roger Willemsen live auf. Von der Spielzeit 2000 an bis zum Frühjahr 2002 moderierte er Das Bühnengespräch im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg und führte Gespräche mit Prominenten.
Seit 2002 beteiligte und engagierte sich Willemsen mit Programmen, Abenden und Ideen an dem Kölner Literaturfestival lit.Cologne. Er ging auf Tourneen und entwickelte Solo-Programme.
2006 war Willemsen mit seinem zweistündigen Erzählprogramm … und Du so? auf Theatertournee. Ab 2007 wurde er auch zum Programmleiter, Schirmherr und Moderator des Mannheimer Literaturfestes lesen.hören.

Roger Willemsen schrieb Beiträge für diverse Zeitschriften und für Kunstreiseführer. 2006 erschien sein Buch Hier spricht Guantánamo, für das er ehemalige Guantanamo-Häftlinge über ihre Haftumstände
interviewte. Er veröffentlichte seine Parlamentsreportage Das Hohe Haus (2014). Den Erlös seines Buches Es war einmal oder nicht. Afghanische Kinder und ihre Welt spendeten er und der S. Fischer Verlag dem Afghanischen Frauenverein. Sein Debut-Roman Kleine Lichter wurde 2010 verfilmt und er verfasst das Drehbuch für den Film Valerie. Er war Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland und im
Redaktionsbeirat der Zeitschrift Kulturaustausch.

Roger Willemsen war in zahlreichen Hilfsorganisationen tätig. Er unterstütze Frauen, stiftete Brunnen und gründete eine Schule in Afghanistan. Er verfügte testamentarisch, dass ein Teil seiner
Bucheinnahmen weiteren afghanischen Schulprojekten zugutekommen soll.

Am 18. August 2015 wurde bekannt, dass Roger Willemsen an Krebs erkrankt war. Er starb am 7. Februar 2016 im Alter von 60 Jahren in seinem Haus in Wentorf bei Hamburg an den Folgen der Krankheit. Die öffentliche Trauerfeier fand am 22. Februar 2016 auf dem Friedhof Ohlsdorf in Hamburg statt. Die
anschließende Beisetzung erfolgte im engsten Kreis (Grab AE17-24-26, westlich von Kapelle 7).

Drei Tage vor Roger Willemsens Tod wurde die Roger-Willemsen-Stiftung gegründet. Aus Willemsens Villa wurde ein Künstlerhaus für Stipendiaten gemacht. Bis zu zehn Stipendiaten sollen pro Jahr aufgenommen werden, sechs Künstler können gleichzeitig in der Gründerzeit-Villa leben und arbeiten. Die Eröffnung des Künstlerhauses «Villa Willemsen» im mare-Künstlerhaus fand am 3. Mai 2018 in Gegenwart von vielen Freunden statt.

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Roger_Willemsen (ergänzt durch die Schule und die RW-Stiftung)

Persönliche Erinnerungen

Ich war Roger Willemsens Klassenkameradin und seine Freundin. Er war ein ganz besonderer Mensch und verfügte über eine magische Anziehungskraft, schon als Schüler. Natürlich war er Schülersprecher. Fast jeder wollte sein Freund sein, jeder wollte sein wie er, jeder wollte mit ihm lachen, denn er war wirklich so unfassbar witzig, alle drängten sich um ihn. Seine Jahrgangsstufe, oder zumindest sein großer Freundeskreis, las mit ihm, diskutierte mit ihm, folgte seinen Vorlieben für Robert Musil, Marcel Proust, Oscar Wilde, Cesare Pavese, Rimbaud, Baudelaire und Joyce, für Gustav Mahler, Martin Heidegger, Vermeer. Wir rezitierten, führten auf, improvisierten, wir spielten den Monolog der Molly Bloom, Warten auf Godot und Die kahle Sängerin. Wir übersetzten Finnegan’s Wake mit Hilfe eines Gartenschlauches in Geräusche. Wir waren unglaublich. Wahrscheinlich waren wir durch ihn und mit ihm die intellektualisierteste Jahrgangsstufe, die das Helmholtz-Gymnasium je hatte. Und es ist daher auch nicht erstaunlich, dass etliche Literaturprofessoren, Zeitungsredakteure und Autoren aus dieser Stufe hervorgegangen sind.

Lehrer staunten über Roger, über sein Wissen, seine Ausdrucksweise, aber auch über seine kategorische Ablehnung der Mathematik und der Naturwissenschaften, die manchen Lehrer in die Verzweiflung trieb. Vor einer jungen Mathematiklehrerin fiel er auf die Knie und bat um Vergebung für eine absolute Minderleistung mit der Begründung, ihr kurzer Rock habe ihn betört und sein Denken umnebelt. Dem Biologielehrer rief er zu: „Machen Sie mich doch zum Bärenfell!“ und warf sich mit ausgestreckten Armen und Beinen an die Wand. Die Erinnerungen sind hundertfach und lassen einen immer noch lachen. Andererseits begann der Englischlehrer unter seinen Hilfestellungen, sich mit Sein und Zeit zu befassen, das wir als Ganzschrift im Philosophie-Unterricht lasen.

Durch die Jahrzehnte haben Roger und ich uns immer wieder geschrieben, uns gesehen, so auch beim Jubiläum der Schule zur Rede von Herrn Berg (ein Erlebnis, das er dann in Deutschlandreise verewigte), bei diversen Klassentreffen, zuletzt bei der lit.cologne. Immer war es schön, erinnerungsträchtig und sehr, sehr lustig.

Als Roger 2016 starb, erhielt ich als Schulleiterin zahlreiche Zuschriften, man schlug sogar vor, die Schule nach ihm umzubenennen. Dies hätte ihn allerdings kaum beglückt, denn er hielt nicht viel von Schule. Davon zeugt auch seine Abiturrede als Schülersprecher von 1976, die ich aufbewahrt habe.
Wenn wir uns heute als Ehemalige treffen, ist er immer noch in unserer Mitte, in unserem Denken.
Dorothee v. Hoerschelmann

Von unserem Musiklehrer Karl Günter Tenberken (genannt „Tenno“) angeregt, spielten wir im (mittlerweile abgerissenen) Bonn-Center „Improvisationen“ mit Flöte (Silke), Vibraphon (Roger) und Kontrabass (ich) über das dreizeilige Gedicht von Ezra Pound „In a station of the metro“ und vertonten „Anna Livia Plurabelle“ von Joyce.
Dann, nach einem Vortrag von Roger 1974 in seinem parallelen Deutsch-Leistungskurs über ein Werk
der Weltliteratur, die monatelange Lektüre von Marcel Proust „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“. Danach schrieben Roger und ich einen Brief an die Übersetzerin Eva Rechel-Mertens, den sie beantwortete und uns „confrères“ nannte. Im Gegenzug referierte ich in unserem Deutschkurs bei Hans Steinhaus (1934-2020) über den „Doktor Faustus“ von Thomas Mann.
Dirk Heißerer