Einen Trailer findet man hier.
(Foto: mit freundlicher Genehmigung des Schauspielhauses Köln)
Im Schauspiel Köln wird seit dem 10.September 2021 Gotthold Ephraim Lessings, für das Abitur verbindliche, Ideendrama „Nathan der Weise“ aufgeführt. Die Inszenierung Stefan Bachmanns modernisiert den verstaubten Klassiker, ohne diesen von seinen tiefgreifenden Themen zu entkernen.
In seiner Inszenierung fügt Bachmann eine weitere Figur ein, einen Engel, der außenstehend die Handlung kommentiert, aber auch, wie eine unterbewusste Stimme, die Darsteller in ihrer Entscheidungsfindung beeinflusst. Dieser Engel kann durch die außenstehende Rolle eine allgemeinere Meinung abgeben, die die immer noch aktuelle Thematik aufgreift und auf die heutige Gesellschaft übertragen werden kann. Außerdem vermittelt der Engel durch die Funktion als Unterbewusstsein dem Publikum die Gedankengänge der Figuren, vor allem des Tempelherrn.
Durch die starke Darstellung des Tempelherrn selbst wirkt das Drama eher wie die Entwicklungsgeschichte des Franken, der zuerst das menschliche Gegenteil der Toleranz ist, wie Nathan sie „predigt“. Im Verlauf des Stücks entwickelt sich der Tempelherr zum Unabhängigen, der selbst denkt und die Anordnungen des Patriarchen einzuordnen weiß. Man könnte meinen, das Originalstück drehe sich vor allem um jenen Tempelherrn, den die Zuschauer durch die Hölle in das Familienglück, in dem alle Religionen vereinigt sind, begleiten.
Zu dieser Familie gehört natürlich auch der Sultan Saladin, der stereotypisch und auch etwas polemisch dargestellt wird. Dieser Saladin, ausgestattet mit Goldkette und aufgeknöpftem Hemd, passt erstaunlich gut zum Saladin des „Nathan“, obwohl dies im ersten Moment nicht so scheint. Wer nicht so gut in die Rolle des Originals passt, ist seine Schwester Sittah, die übermäßig sexualisiert wird und sich somit gewissermaßen selbst disqualifiziert. Eine Sultanschwester, bei der man sich fragt, warum sie denn so angemacht um ihren Bruder herumschleicht, wie eine verliebte Schlange, mag zwar in grundsätzlichen Wesenszügen der Sittah entsprechen, wie man sie aus dem Drama kennt, allerdings raubt die übermäßige Sexualisierung ihre – eigentlich – komplexe Funktion als Vermittlerin zwischen allen Fraktionen.
Im Endeffekt ist anzumerken, dass das Kölner Theater ein stimmiges Gesamtbild schafft, das zum Teil etwas unpassende Züge aufweist. Die vorgenommenen Veränderungen abseits der Rollen Dajas, Rechas oder Sittahs, besonders der hinzugefügte Engel und der neue Ansatz, die Entwicklung des Tempelherrn als zentral darzustellen, sind überzeugend und lassen das Publikum „Nathan den Weisen“ aus einem neuen Blickwinkel kennenlernen.
Das einzig nicht überzeugende Element dieser Inszenierung ist eigentlich der Schluss, was sehr schade ist. Am Ende kommen alle Figuren zusammen und singen Udo Lindenbergs „Wir ziehen in den Frieden“ in familiärer Nähe. Obwohl die Essenz dessen sehr passend ist, wirkt diese Form von Abschluss mit einer solch einfachen Botschaft unpassend und teils ironisch für ein Stück, das so viel tiefer in die Besuch einer Aufführung von Lessings „Nathan der Weise“ im Schauspiel Köln Debatte hineingeht, besonders in der neu erfundenen Szene, in der sich Patriarch und Engel über das Wesen der Jugend austauschen. Muss man selber wissen.
(Friedrich Irmer, Q2)